Das Stromnetz für die Zukunft der E-Mobilität

06.07.2023
Die Energiestrategie 2050 stellt die Verteilnetzbetreiber vor neue Herausforderungen, die nebst einem konventionellen Netzausbau auch intelligente Lösungen erfordern. ewz widmet sich seit langem dem Stromnetz von morgen und rüstet sich dadurch für die Energiewende. Ziel ist es, den Kunden ein leistungsfähiges und intelligentes Netz – ein Smart Grid – bereitzustellen.
Gastautor
Michael Auer
Leiter New Grid Solutions bei ewz
Gastautorin
Sara Engeler
New Grid Solutions Fachspezialistin bei ewz
Gastautor
Raffael La Fauci
Leiter Konzepte und Entwicklung bei ewz
Disclaimer
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Mit der Dekarbonisierung des Mobilitätssektors stehen grosse Veränderungen im Energiesektor an. Politische Beschlüsse von Bund, Kantonen und Stadt (Stadt Zürich: «2000-Watt-Gesellschaft») verstärken den Umbruch in der Stromlandschaft zusätzlich. Die Anzahl Elektrofahrzeuge im Versorgungsgebiet wird gemäss behördenverbindlichen Szenarien (BFE: «Energieperspektiven 2050+»; Stadt Zürich: «Ein neues Klimaschutzziel für Zürich») in den nächsten Jahren stark ansteigen. Dies stellt für ewz eine Herausforderung dar. Neben Elektrofahrzeugen haben Wärmepumpen und PV-Anlagen zudem neuartige Bezugs- und Einspeiseprofile sowie hohe Bezugs- respektive Einspeiseleistungen (M. Auer, E. Kaffe und R. La Fauci: «Impact of Fast Charging and Home Charging Infrastructure for Electric Vehicles on the Power Quality of the Distribution Grid»). Dadurch wird der Lastfluss im Stromnetz massgeblich verändert, was zu punktuellen Überlastungen der Betriebsmittel führen könnte. Die bisher meistangewandte Massnahme, um darauf zu reagieren, ist der konventionelle Netzausbau respektive die Netzverstärkung. Dies ist meist mit hohen Kosten verbunden. Durch die gleichzeitig voranschreitende Digitalisierung ergeben sich jedoch für ewz neue Möglichkeiten im Umgang mit diesen Technologien im Netz. Daher wird eine optimale Kombination aus Intelligenz und konventionellen Netzausbau angestrebt.

Die im Netz verbauten Anlagen haben eine Lebensdauer von bis zu 50 Jahren, deshalb muss ein Verteilnetzbetreiber langfristig planen. Um mit Unsicherheiten umgehen zu können, braucht es in der Langfristplanung einen Szenariorahmen, der auf die nächsten 30 bis 40 Jahre ausgelegt ist. Hierfür müssen verschiedene Treiber identifiziert werden, die die Entwicklung des Netzes beeinflussen können (zum Beispiel Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge oder PV). Sie stützen sich zudem auf die Energieperspektiven 2050+ des Bundes sowie die Rahmenbedingungen des Netto-Null-Ziels bis 2040 der Stadt Zürich (siehe oben «Ein neues Klimaschutzziel für Zürich»). Aus dem Szenariorahmen wird ein Referenzszenario erstellt, welches regelmässig aktualisiert wird und als Planungsgrundlage für sämtliche Vorhaben im Verteilnetz von ewz dient. Anhand dieser Methode hat ewz den Smart-Grid-Rollout in der Stadt Zürich geplant und dessen Umsetzung gestartet.

Der Weg vom Monitoring zur Steuerung

Infolge der erwarteten Zunahme der Elektromobilität wird der Strombedarf stark ansteigen. Für die Dimensionierung des Netzes ist unter anderem die Leistung massgebend. Die Elektromobilität verursacht durch hohe Ladeleistungen und eine hohe Gleichzeitigkeit Leistungsspitzen im Netz (siehe Grafik unten). Da das Verteilnetz der Stadt Zürich lastgetrieben ausgebaut wird, sind im ersten Moment Lasten kritischer zu betrachten als die dezentrale Produktion von Strom. Der erwartete Lastanstieg wird daher einen Einfluss auf die Netzinfrastruktur und punktuell einen forcierten Netzausbau zur Folge haben. Ein solcher Ausbau ist jedoch kostspielig und zeitintensiv. Aus diesen Gründen werden Rahmenbedingungen geschaffen, die den konventionellen Netzausbau mit dem Ausbau des Smart Grid kombinieren. Damit der konventionelle Netzausbau möglichst geringgehalten werden kann, sollen der Bezug optimiert und die Lastspitzen verschoben werden; ewz verfolgt dazu einen Vier-Stufen-Plan.

Beispielhaftes Lastprofil in einem Quartier. Die Elektromobilität verursacht durch die hohe Gleichzeitigkeit und hohen Ladeleistungen Lastspitzen, die gebrochen werden sollen.
  • Sensibilisierung: Durch Sensibilisierung sollen das Konsumverhalten der Bevölkerung verändert, die Werkvorschriften angepasst und das Fachpersonal auf die Herausforderungen im Verteilnetz hingewiesen werden.
  • Monitoring: Im Monitoring werden die im Netz vorhandenen Betriebsmittel anhand von Messungen überwacht. Dadurch können Prognosen zum Netzzustand in der Netzebene 7 erstellt, potenzielle Engpässe frühzeitig festgestellt und darauf basierend Massnahmen zu deren Vermeidung eingeleitet werden.
  • Tarifanreize: Damit die bestehenden Tageslastspitzen nicht durch Lastprofile neuer Verbraucher im Netz weiter ansteigen, werden deren Spitzen mittels Tarifanreizen von den bestehenden Lastspitzen weggelenkt. So führte ewz als einer der ersten Verteilnetzbetreiber einen Tarif für Elektrofahrzeuge ein (ewz: «Tarifübersicht. Stromtarife für Privatkundinnen und -kunden»).
  • Steuerung: Steigt die Netzbelastung lokal dennoch kritisch an, soll künftig mittels Steuerung aktiv eingegriffen werden. So kann beispielsweise die Ladeleistung für Elektroladestationen kurzfristig gedrosselt oder zeitlich verschoben werden, um Engpässe zu vermeiden. Diese Eingriffe sind allerdings nur im Notfall zulässig, wenn eine Gefährdung des sicheren Netzbetriebs besteht, oder sofern die Einwilligung der Kunden vorliegt. Im zweiten Fall wird die kundenseitige Flexibilität vergütet.

Monitoringkonzept Niederspannungsnetz

Dieses Konzept ermöglicht eine Überwachung und Beurteilung des Niederspannungsnetzes. Es baut auf drei Pfeilern auf, den Smart-Meter-Daten, den Echtzeit-Messwerten aus den Trafostationen und dem rechenbaren Netzmodell, das den digitalen Zwilling des physischen Netzes darstellt. Als Fundament der drei Pfeiler dienen das Glasfasernetz und das Cloud-Computing. Das Glasfasernetz bietet genügend Bandbreite zur Übermittlung der Smart-Meter- und Mess-Daten aus den Trafostationen. Um das Niederspannungsnetz zu simulieren, braucht es zusätzlich eine entsprechende Rechenleistung, die durch das Cloud-Computing ermöglicht wird.

Durch den gesetzlich vorgeschriebenen Smart-Meter-Rollout wird eine Beobachtungswelt geschaffen, die alle 24 Stunden mit Messwerten im 15-Minuten-Raster angereichert wird, wodurch wesentlich genauere Daten zur Verfügung stehen als mit den heutigen Jahresenergiewerten der alten Zähler. Gehen neue technische Anschlussgesuche für Elektromobilitäts-Ladestationen mit einer Leistung von mehr als 22 Kilowatt bei ewz ein oder möchte jemand den Elektromobilitätstarif nutzen, schreibt ewz zudem bereits seit längerem den Einsatz eines Smart Meters vor. In künftigen Ausbaustufen des Monitorings sollen die Messwerte in höherer Auflösung bis hin zu einer Minute (bei Flexibilitäten) aufgezeichnet und genutzt werden. Bei Gebäuden mit Smart Metern wird ein zusätzliches Building Gateway eingerichtet, das die Smart-Meter-Daten auf Gebäudestufe sammelt und via Glasfasernetz an ewz übermittelt. Die Smart-Meter-Daten werden anschliessend einerseits zur Stromabrechnung und andererseits zum Monitoring verwendet. Die Verwendung der Smart-Meter-Daten erfolgt dabei unter Berücksichtigung der Datenschutzrichtlinien, sodass keine Rückschlüsse zu einzelnen Wohnungen gezogen werden können.

Zur Signalisation der Trafostationen wurde ein Monitoringkonzept erarbeitet, das künftig die kommunikative Anbindung der rund 800 Trafostationen und die Erfassung von nieder- sowie mittelspannungsseitigen Messdaten ermöglicht. Die Daten werden dazu im 1-Minuten-Intervall gemessen und in Echtzeit übertragen. Die Niederspannungsmessdaten (Strom und Spannung) sind eine Ergänzung zu den Smart-Meter-Daten im Niederspannungsnetz. Sie bieten die Möglichkeit, das Niederspannungsnetz in Echtzeit zu überwachen. Die Signalisation der Trafostationen in Kombination mit dem vollständigen Smart-Meter-Rollout erlaubt nach Einwilligung der Kunden die Steuerung von Flexibilitäten im Niederspannungsnetz zur Netzoptimierung.

Damit das Netz intelligent werden kann, ist es notwendig, einen digitalen Zwilling des physischen Netzes zu erstellen. Durch die topologische Verknüpfung der einzelnen Betriebsmittel entsteht das Modell, welches automatisch mit Parametern aus den Quellsystemen angereichert wird. Dieses wird auf der Monitoring-Plattform abgebildet und zusätzlich mit Messdaten angereichert.

Anhand der Messdaten aus den Trafostationen und der Smart Meter kann ewz das Netz im rechenbaren Netzmodell überwachen und im Notfall eingreifen. Treffen also Zustandsinformationen ein, welche Grenzwerte verletzen oder gar eine Störung detektieren, können Gegenmassnahmen getroffen werden. Zur einfachen Identifizierung wurden bei ewz Netzzustände in einem Vier-Farben-Ampelprinzip (siehe Grafik unten) für das Niederspannungsnetz formuliert, welche die Netzgefährdung aufzeigen. Im Modell können anschliessend verschiedene Szenarien abgebildet und so die Netzzustände analysiert werden. Je nach Gefährdungszustand wird der betroffene Netzbereich nur beobachtet, oder es werden direkt Massnahmen ergriffen.

Definierte Netzzustände werden unterschieden aufgrund ihrer Einschätzung auf die Netzgefährdung, und sie zeigen auf, was mögliche Folgen sein könnten.

Bereit für das Smart Grid

Die Verteilnetzbetreiber sind der Schlüssel, um die Energiewende überhaupt erst zu ermöglichen. Daher ist das Engagement bei ewz gross, um heute das Stromnetz für die Bedürfnisse von morgen aufzustellen. Durch die Umsetzung von Pilotprojekten, wie beispielsweise in Greencity in Zürich-Wollishofen 2019/2020 konnten Smart-Grid-Konzepte getestet und gewinnbringende Partnerschaften eingegangen werden.

Der Einsatz von Smart Metern und die Signalisation der Trafostationen erlauben, das Verhalten im Netz besser zu verstehen. In Kombination mit dem digitalen Zwilling wird Transparenz und ein gesamtheitlicher Überblick des Verteilnetzes geschaffen. Da tagesaktuelle Messwerte vorliegen, ist es möglich, das Netz zu überwachen und es wird die Basis gelegt, um künftig zu steuern, damit auf netzkritische Situationen reagiert werden kann. Das Zusammenspiel aller Elemente des Monitoring-Konzepts ist die Basis, um den Kunden ein leistungsfähiges und intelligentes Stromnetz, ein Smart Grid, zur Verfügung zu stellen.

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