Ein neuer Ansatz gegen die Winterstromlücke

16.08.2023
Um das Problem der Winterstromlücke zu lösen, braucht es auch saisonale Speicher. Ein vielversprechender Ansatz ist die Geo-Methanisierung. Deren Potenzial wurde nun näher untersucht. Die Resultate zeigen: Das Speicherverfahren funktioniert – und es gibt genügend Überschussstrom dafür.
Gastautor
Andreas Kunz
Leiter Energie-Anlagen bei Energie 360°
Gastautor
Simon Lerch
Kommunikation Lösungen bei Energie 360°
Disclaimer
«PerspectivE» ist eine Plattform innerhalb der Website des VSE, auf welcher der Verband Branche, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft die kostenlose Möglichkeit bietet, für die Branche relevante Fachbeiträge und Artikel zu publizieren. Externe Autorinnen und Autoren äussern in diesen Beiträgen ihre persönliche Meinung. Diese gibt nicht zwingend die Ansichten und Haltung des VSE wieder.

Der Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion sorgt dafür, dass Energieangebot und -nachfrage bezüglich Zeit, Menge und Leistung immer mehr divergieren. Dadurch steigt der Bedarf nach Speicherlösungen. Neben kurzfristigen Speichern zur Entlastung des Stromnetzes sind mit Blick auf die Winterstromlücke vor allem saisonale Speicher gefragt. Ein mögliches solches Speicherverfahren ist die Geo-Methanisierung.

Zweistufiges Verfahren

Dabei wird zunächst überschüssige erneuerbare Energie – beispielsweise Solarstrom – mit einem Elektrolyseur in grünen Wasserstoff umgewandelt. Der zweite Schritt, die Methanisierung, erfolgt in 1000 Metern Tiefe. Dazu wird der Wasserstoff zusammen mit CO2, zum Beispiel aus Biogasanlagen, in einen natürlichen Untergrundspeicher eingebracht. In einem mikrobiologischen Prozess verbinden Mikroorganismen Wasserstoff und Kohlenstoff zu Methangas.

Dieses erneuerbare Gas bleibt im Untergrund gespeichert. Im Winter, wenn der Bedarf an Strom und Wärme hoch ist, lässt es sich ausspeichern und vielseitig nutzen. Entdeckt und patentiert hat den biologischen Prozess dahinter die RAG Austria AG, das grösste Energiespeicherunternehmen Österreichs.

Potenzial erforschen

Im Rahmen des binationalen Forschungsprojekts «Underground Sun Conversion – Flexible Storage» (USC-FlexStore) untersuchten die RAG Austria AG, Energie 360° und weitere Forschungspartner in den vergangenen rund drei Jahren das Potenzial dieses innovativen Verfahrens als Speicherlösung in einem erneuerbaren Energiesystem.

Das Projekt diente der Grundlagenforschung. Es hatte zum Ziel, den Nachweis für die Machbarkeit der Geo-Methanisierung als saisonale Umwandlungs- und Speicherlösung mit hohem Volumen im Terawattstunden-Bereich zu erbringen. Dazu erforschten die Fachleute technische, betriebliche, wirtschaftliche, ökologische und regulatorische Aspekte des Verfahrens. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit entstand aus dem Bewusstsein heraus, dass die Speicherung von erneuerbaren Energien auch eine europäische Gemeinschaftsaufgabe ist.

Eine Lösung für die Schweiz?

Aus Schweizer Sicht interessierte besonders, ob und unter welchen Bedingungen die Speicherung und die Umwandlung von Energie im tiefen Untergrund auch hierzulande möglich sind. Als Schweizer Forschungspartner arbeiteten die Universität Bern (Geologie), die Ostschweizer Fachhochschule OST (Wirtschaftlichkeit) sowie die Empa mit.

Letztere untersuchte den Bedarf an saisonalen Speichern, um überschüssige erneuerbare Energie aus dem Sommer im Winter verfügbar zu machen. Mit der drohenden Energiemangellage im vergangenen Winter hat dieser Aspekt zusätzliche Aktualität erhalten.

Mehrere Szenarien betrachtet

Um die saisonalen Überschussmengen an Strom und das Produktionspotenzial für Wasserstoff abzuschätzen, modellierten die Forschenden der Empa Nachfrage und Angebot im Elektrizitätsbereich. Auf Zahlenbasis von Prognos im Auftrag des Bundesamts für Energie wurden eigene Szenarien mit einer stündlichen Auflösung erstellt.

Die wachsenden Produktionskapazitäten für erneuerbaren Strom beruhen in diesen Daten hauptsächlich auf dem Ausbau der Solarenergie. Gleichzeitig gehen die Szenarien davon aus, dass die Wärmeversorgung zunehmend über Wärmepumpen erfolgt. Das führt zu einer sehr unterschiedlichen Stromnachfrage im Sommer und im Winter.

Nettoüberschuss ermittelt

Als Folge kumuliert sich in den Wintermonaten je nach Szenario eine Stromlücke von bis zu 12 TWh, während sich in den Monaten mit geringer Nachfrage ein Stromüberschuss von bis zu 17 TWh ansammelt. Somit ermittelten die Forschenden übers ganze Jahr gesehen einen beträchtlichen Nettoüberschuss.

Um ihn tatsächlich in dieser Grössenordnung zu erreichen und für die Wasserstoffproduktion nutzbar zu machen, sind allerdings Lastverschiebungen nötig. Ansonsten erfordern Lastspitzen ein teilweises Abregeln von Produktionsanlagen, sodass weniger Überschussstrom zur Verfügung steht.

Flusskraftwerke im Fokus

Ein grosses Potenzial für die Nutzung von Überschussstrom für Wasserstoffproduktion und Methanisierung sehen die Forschenden bei Laufwasserkraftwerken. Dies liegt auch an deren Lage, ihrem Anschluss an die Energieinfrastruktur und der eingeschränkten Steuerbarkeit der Stromproduktion.

Einerseits befinden sich die Kraftwerke meist nahe genug bei Zementwerken, Kehrichverbrennungs- und Abwasserreinigungsanlagen, damit das CO2 dieser Anlagen für die Methanisierung genutzt werden könnte. Andererseits ist oft auch die Distanz zu Einspeisepunkten ins Gasnetz gering, sodass sich das produzierte und gespeicherte erneuerbare Gas einspeisen lässt, wenn es benötigt wird.

Grosses Potenzial

Insgesamt hat die Empa in ihrem Forschungspaket also aufgezeigt: Im Sommer wird genügend überschüssige Energie produziert, um saisonale Speicher zu füllen und für den Winter nutzbar zu machen. Die Winterstromlücke in der Schweiz lässt sich dadurch substanziell entschärfen.

Gleichzeitig wurde klar: Selbst bei ausschliesslicher Verwendung des erneuerbaren Gases zur Wiederverstromung genügt die saisonale Speicherung allein nicht, um die wachsenden Stromdefizite während der Heizsaison auszugleichen. Sie kann jedoch zu einer von mehreren tragenden Säulen der künftigen Stromversorgung im Winter werden.

Ähnliche Erkenntnisse für Österreich

Zu ähnlichen Resultaten sind die Forschenden auch für das österreichische Energiesystem gekommen. Dort stehen durch den starken Zubau an Solaranlagen künftig ebenfalls erhebliche Mengen Überschussstrom von maximal 15 TWh pro Jahr zur Verfügung, die sich saisonal speichern lassen.

Die Notwendigkeit dafür ist allerdings geringer als in der Schweiz. Denn in Österreich zeigt sich das Problem der Winterstromlücke weniger akzentuiert – unter anderem dank höherer Windstromkapazitäten. Falls der österreichische Überschussstrom für die Geo-Methanisierung genutzt werden soll, empfehlen die Forschenden Standorte nahe von Flusskraftwerken entlang der Donau.

Methanisierung funktioniert

Dass die Geo-Methanisierung überhaupt als Umwandlungs- und Speicherlösung für den Überschussstrom in Frage kommt, haben die RAG Austria AG und die Universität für Bodenkultur Wien im Rahmen des Forschungsprojekts belegt. Die Forschenden führten dazu umfangreiche Labor- und Feldversuche in einem Untergrundspeicher im österreichischen Pilsbach durch. Sie kamen zum Schluss: Die natürliche Methanisierung im Untergrund funktioniert.

Allerdings erkannten sie auch limitierende und kritische Faktoren für die Geo-Methanisierung, insbesondere die Druckverhältnisse. In natürlichen Speichern beeinträchtigen die lokal sehr unterschiedlichen Druck- und Gasverteilungen den Methanisierungsprozess unterschiedlich. Trotzdem konnten sowohl im Labor wie auch im natürlichen Untergrundspeicher gute Umwandlungsraten erzielt werden.

Standorte in der Schweiz

Ob die unterirdische Methanisierung auch in der Schweiz möglich ist, untersuchten die Forschenden des geologischen Instituts der Universität Bern. Sie analysierten bestehende Daten von Tiefenbohrungen im Schweizer Mittelland und konnten so verschiedene geologische Formationen im Untergrund bezüglich ihrer Eignung als natürliche Gasspeicher bewerten.

Ihr Fazit lautet: Das geologische Potenzial ist vielversprechend. Die Forschenden identifizierten mehrere interessante Standorte zwischen Bern und dem Zürcher Weinland. Um verlässliche Aussagen zu deren Eignung zu machen, sind allerdings weitere Abklärungen und Explorationen nötig. Die mutmasslichen Kosten einer Feldexploration bewegen sich in einer Grössenordnung von 40 Mio. Franken pro Standort – ohne Garantie, dass sich die untersuchte Geologie tatsächlich für einen Speicher eignet.

Geo-Methanisierung nicht günstiger

Eines der Hauptziele des Forschungsprojekts war, die Wirtschaftlichkeit der unterirdischen Methanisierung und der Speicherung von erneuerbarem Gas zu beurteilen. Die Forschenden der Fachhochschule OST analysierten dazu erstens den Einfluss verschiedener Kosten- und Preisfaktoren. Zweitens untersuchten sie, welche Skaleneffekte das grosse Volumen unterirdischer Speicher auf die Gestehungs- und Speicherkosten des Methans hat.

Dabei fanden sie heraus: Gegenüber der konventionellen Obertagemethanisierung, wie sie etwa in Power-to-Gas-Anlagen betrieben wird, brächte die Geo-Methanisierung in der Schweiz keine wirtschaftlichen Vorteile. Dies hat primär damit zu tun, dass ein Aquiferspeicher in der Schweiz zuerst geschaffen werden müsste. Nebst den Risiken aus der Exploration und dem Bergbau, wird dafür eine nicht unbedeutende Menge Gas als sogenanntes Kissengas benötigt, damit der Speicher überhaupt funktioniert. Dieses Kissengas kann später nicht wieder vollumfänglich genutzt werden. In einem ausgeförderten Gasfeld entfällt dies. Ein alternativer Ansatz könnte deshalb darin bestehen, die Untergrundspeicher zwar für die saisonale Speicherung von Wasserstoff zu nutzen, die Methanisierung jedoch konventionell oberirdisch durchzuführen – mit dem Vorteil einer höheren Flexibilität der produzierten Gasmengen. Diese Lösung erweist sich als die kostengünstigste aller untersuchten Varianten und zeigt die Richtung für weitere Untersuchungen auf.

Schweizer Speicher: Pro und Kontra

Anders als in Österreich bestehen in der Schweiz keine ausgeförderten Erdgas-Lagerstätten, die als Speicher infrage kommen. Stattdessen müssten in einer Tiefe von 800 bis 1200 Metern sogenannte Aquiferspeicher gefunden und erst nutzbar gemacht werden. Das Forschungsteam hat die Kosten dafür berechnet und festgestellt: Sie fallen höher aus als erwartet.

Auf den ersten Blick erscheint daher die Umsetzung eines Speichers für erneuerbare Gase im Ausland naheliegender. Dennoch empfiehlt es sich, auch eine Realisierung in der Schweiz weiterhin in Betracht zu ziehen. Der wichtigste Vorteil einer inländischen Lösung liegt auf der Hand: die hohe Versorgungssicherheit. Allen zwischenstaatlichen Vereinbarungen zum Trotz besteht bei ausländischen Speichern nicht die gleiche Gewissheit, dass das eingespeicherte erneuerbare Gas bei Bedarf auch wirklich in die Schweiz gelangt und für die Wiederverstromung oder den Wärmemarkt zur Verfügung steht – gerade im Fall einer europäischen Mangellage.

Höhere Kapazität als Pumpspeicher

Aus wirtschaftlicher Sicht braucht es den politischen Willen, solche Speicher als unentbehrliche Komponente für den künftigen Versorgungsauftrag des Bundes gemäss der Energiestrategie 2050 zu bezeichnen und entsprechend finanziell abzusichern. Als Gegenwert fällt die verlässlich vorhandene, jederzeit ausspeicherbare Energiemenge besonders gross aus: Aquiferspeicher weisen eine wesentlich höhere Speicherkapazität auf als zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerke.

Die im Projekt betrachtete Maximalvariante wurde auf einen Investitionsbedarf von rund 4,5 Mia. Franken und Produktionskosten von knapp 24 Rappen pro Kilowattstunde berechnet. Die zentrale Frage lautet also, was der Schweiz die flexible Speicherung erneuerbarer Energien wert ist.

Auch eine gesellschaftliche Frage

Im optimistischsten Fall könnte die Erstbefüllung eines Aquiferspeichers im Jahr 2030 anlaufen. Ob nächste Schritte in diese Richtung unternommen werden sollen, muss auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene entschieden werden. Wichtige Entscheidungsgrundlagen sind durch das Forschungsprojekt «Underground Sun Conversion – Flexible Storage» nun geschaffen.

Energie 360° als Schweizer Forschungspartner will die gewonnene Expertise für die Geo-Methanisierung und -Speicherung weiter vertiefen sowie national und international in künftige Projekte einbringen. Zudem prüft das Unternehmen die Beteiligung an einem erneuerbaren Gasspeicher-Projekt in einem Nachbarland.

PerspectivE – Die Branche hat das Wort

«PerspectivE» ist eine Plattform innerhalb der Website des VSE, auf welcher der Verband Branche, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft die kostenlose Möglichkeit bietet, für die Branche relevante Fachbeiträge und Artikel zu publizieren.

Autorinnen und Autoren äussern in diesen Beiträgen ihre persönliche Meinung. Diese gibt nicht zwingend die Ansichten und Haltung des VSE wieder. Der VSE entscheidet abschliessend darüber, ob er einen angebotenen Beitrag veröffentlicht. PR-Artikel werden nicht akzeptiert.

Haben Sie ein interessantes Projekt, eine aufschlussreiche Studie oder eine bahnbrechende Lösung, welche andere Energieversorgungsunternehmen, die Politik oder die Forschung interessieren? Dann melden Sie sich bei Julien Duc, der Ihre Fragen gerne beantwortet.