Intelligentes Laden als flexible Lösung im Mikronetz

06.10.2023
Die in der Energiestrategie 2050 angestrebte Transformation des Schweizer Energiesystems beruht auf einer Elektrifizierung der Gesellschaft mithilfe intermittierender und dezentraler Anlagen zur Erzeugung von erneuerbarem Strom. Dabei spielen intelligente Elektromobilitätslösungen eine wichtige Rolle für den Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage. Im Rahmen des Pilot- und Vorführprojekts SunnYparc werden dazu zahlreiche technische, wirtschaftliche und regulatorische Herausforderungen untersucht.
Gastautor
Mathieu Boccard
Verantwortlich für Projekte zu erneuerbaren Energien bei Planair SA
Gastautor
Geoffrey Orlando
Bereichsverantwortlicher Elektromobilität bei Planair SA
Disclaimer
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Seit 2018 unterstützt eine wirtschaftliche und rechtliche Initiative nachdrücklich den Verbrauch von Energie aus lokalen und dezentralen Quellen. Diese Strategie stärkt nicht nur die Energieunabhängigkeit der Schweiz, sondern fördert auch das Wachstum erneuerbarer Energien und trägt damit zur ökologischen Nachhaltigkeit bei. Parallel dazu kann die Bereitstellung von steuerbaren elektrischen Systemen (wie Batterien) zur Gewährleistung des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage im Stromnetz als Dienstleistung für das Stromnetz abgegolten werden.

In diesem günstigen Umfeld zeichnet sich eine bemerkenswerte Gelegenheit in Bezug auf Industriegebiete ab, wo das tägliche Fahrzeugaufkommen dank der Einrichtung einer intelligenten und flexiblen Lademöglichkeit ein bislang weitgehend ungenutztes Potenzial birgt. Dabei geht es um eine Anpassung der Ladeleistung anhand externer Signale. Die Möglichkeiten des Konzepts «intelligentes Laden» gewinnen an Bedeutung, wenn man die Kommunikationstechnologie Vehicle-to-Grid (V2G) einbezieht. Dank dieser Innovation können Elektrofahrzeuge nicht nur zum Aufladen Energie aus dem Netz beziehen, sondern bei Bedarf auch wieder Energie in das Stromnetz einspeisen.

Das Projekt SunnYparc wurde als konkretes Beispiel für die grossflächige Umsetzung eines solchen Systems konzipiert. Dieses Mikronetz mit intelligenter Steuerung soll die dezentrale Produktion und die zukünftige Elektromobilität optimal in die Stromversorgung des Industrieparks Y-PARC in Yverdon-les-Bains im Kanton Waadt integrieren. Im Rahmen des Projekts wird unter realen Bedingungen vorgeführt, wie die Durchdringung mit erneuerbaren Energien durch die Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) optimiert werden kann.

Luftaufnahme mit den Umrissen des SunnYparc-Mikronetzes; rechts: Blick auf die Ende 2022 installierten Ladestationen.

Das zentrale Ziel des Projekts ist, Synergien zwischen dem Flexibilitätspotenzial der Elektromobilität, der intermittierenden Erzeugung erneuerbarer Energien und dem Energiebedarf der Industrie zu erreichen. Dank der V2G-Technologie und eines intelligenten Steuerungssystems soll die Energieeffizienz des Standorts maximiert werden, indem die Speicherkapazität der angeschlossenen Elektrofahrzeuge genutzt wird, um den Bedarf des Netzes zu decken.

SunnYparc kann auf mehrere Schlüsselpartner zählen, u. a. den Hauptinvestor Yverdon-les-Bains Énergies, das Beratungsunternehmen Planair für die Projektkoordination, den Anbieter von intelligenten Ladelösungen EATON, den Anbieter von Energiemanagementlösungen innerhalb des Mikronetzes Smart Energy Link (SEL) sowie den Flexibilitätsaggregator Virtual Global Trading (VGT). Die Finanzierung setzt sich aus Investitionen dieser Unternehmen sowie einer öffentlichen Unterstützung durch das Bundesamt für Energie sowie den Kanton Waadt zusammen. Diese Unterstützung zeigt die Bedeutung, die dem Projekt im Zusammenhang mit den nationalen und kantonalen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung beigemessen wird.

V2G-Flexibilität für das Mikronetz und Swissgrid

Fahrzeuge verbringen fast 95 % ihrer Zeit auf Parkplätzen. Während ein parkierter Verbrenner inaktiv ist, kann ein an eine Ladestation angeschlossenes Elektrofahrzeug als stationäre Batterie betrieben werden. Dies ebnet den Weg für eine potenzielle Flexibilität des Stromnetzes und eine bessere Integration erneuerbarer Energien wie der Photovoltaik. Dazu werden zwei Ebenen der Flexibilität unterschieden. Die erste umfasst eine Steuerung der Ladeleistung in Abhängigkeit von der Energieverfügbarkeit im Netz. Die Abkürzung V1G wird manchmal verwendet, um diese Fähigkeit zur unidirektionalen Leistungsanpassung (vom Netz zum Fahrzeug) zu beschreiben. Die zweite Ebene besteht in der Nutzung der Fähigkeit der Batterie, Energie bedarfsgerecht in das Netz einzuspeisen (V2G). So kristallisieren sich drei wesentliche Vorteile heraus: die Optimierung des Eigenverbrauchs, die Glättung von Leistungsspitzen im Verbrauch und die Aufwertung von Systemdienstleistungen.

Eigenverbrauchsoptimierung

Mithilfe von Batterien kann überschüssige Solarenergie während Produktionsspitzen gespeichert werden, um sie später bei einer geringeren Produktion zu nutzen und so den Eigenverbrauch des Standorts zu erhöhen. Damit der Kauf einer Kilowattstunde aus einem Fahrzeug günstiger ist als aus dem Mikronetz, müssen jedoch zwei Bedingungen erfüllt sein. Zunächst muss diese Kilowattstunde in eigener Produktion erzeugt werden, während die Abgabe aus dem Fahrzeug bei Produktionslücken erfolgen muss (als Ersatz für den Kauf von teurerem Strom aus dem Netz). Ausserdem muss sichergestellt werden, dass das Fahrzeug ausreichend mit Energie aus Eigenproduktion aufgeladen werden kann (idealerweise während der gleichen Parkzeit). Daher erfordert V2G Profile regelmässiger Nutzer mit Fahrzeugen, die über längere Zeiträume abgestellt werden, was sich gut für Parkplätze eignet, die speziell für Pendler, Anwohner und Firmenfahrzeuge vorgesehen sind.

Glättung von Verbrauchsspitzen

V2G kann bei Verbrauchsspitzen zum Tragen kommen, um den Bedarf an aus dem Netz bezogenem Strom zu senken und so den Anstieg der benötigten Leistung zu begrenzen. Energierechnungen setzen sich aus zwei Hauptkomponenten zusammen: dem gesamten Energieverbrauch und der maximal aus dem Netz bezogenen Leistung. Die Senkung dieser Leistungsspitzen birgt daher ein attraktives Potenzial für Elektrofahrzeuge. In Zeiten erhöhter Nachfrage könnten die Nutzer eine Flotte verfügbarer Fahrzeuge mobilisieren, um die benötigte Leistung zu ergänzen, was zu erheblichen Einsparungen führen würde.

Für Branchen, die einige hohe monatliche Verbrauchsspitzen aufweisen, ist das Potenzial beträchtlich, wie die folgende Grafik zeigt. So könnten beispielsweise drei Fahrzeuge mit 62-kWh-Batterien während fast sechs Stunden den Bedarf um 30 kW senken, was zu markanten Einsparungen bei den Energiekosten führt. Dieses Szenario setzt jedoch voraus, dass die Fahrzeuge zum Zeitpunkt dieser Spitze mit einem ausreichenden Ladestand bereitstehen und dass die Spitze nur von kurzer Dauer ist, damit am Ende der Parkdauer eine ausreichende Ladung gewährleistet ist.

Illustrative Verbrauchskurve eines Mikronetzes über ein Jahr und entsprechende Kurve nach Glättung der Spitze bei 250 kW weniger Leistung (in Orange)

Nutzung von Systemdienstleistungen

Das Gleichgewicht im Netz ist entscheidend und wird zum Teil durch Regelenergie gewährleistet. Flexible Akteure werden aufgerufen, Energie je nach Bedarf auf den verschiedenen Netzebenen (lokal, regional, national) bereitzustellen oder zu beziehen. Kleine Einheiten schliessen sich zu einem Regelpool zusammen, der es den Aggregatoren ermöglicht, diese Dienstleistungen auf dem Primär-, Sekundär- und Tertiärmarkt zu verkaufen. Allerdings ist die Grössenordnung für die Rentabilität massgeblich, wobei hohe minimale Leistungsanforderungen gelten.

Aggregatoren können mehrere kleine Akteure zusammenfassen, um die erforderliche Mindestkapazität zu erreichen, und diese Dienstleistungen auf Ebene des Verteilnetzes, der Bilanzgruppe oder des Übertragungsnetzes verkaufen. Der Mindestumfang der Beteiligung variiert je nach Dienstleistung und beträgt 500 kW für den Primär-, 1 MW für den Sekundär- und 250 kW für den Tertiärmarkt.

Wenn man von Elektrofahrzeugen mit einer maximalen Leistung von 22 kW pro Fahrzeug ausgeht, erfordert eine Kapazität von einem Megawatt 50 Fahrzeuge. Im SunnYparc gibt es einen zentralen Parkplatz mit 1000 Stellplätzen, auf dem Fahrzeuge von Firmenflotten, Pendlern sowie Besucherinnen und Besuchern abgestellt werden. Die ständige Präsenz von 50 Elektrofahrzeugen ist realistisch und bietet Zugang zum Flexibilitätsmarkt. So bietet V2G eine zusätzliche Möglichkeit für Systemdienstleistungen im Stromnetz.

Dynamische Tarife

Es gibt jedoch noch viele Herausforderungen, um das enorme Flexibilitätspotenzial von Elektrofahrzeugen voll auszuschöpfen. Einige sind technischer Natur, wie die Kommunikation zwischen dem Nutzer und seinem Fahrzeug, der Ladestation und dem Stromnetz (Kommunikationsprotokolle, Absicherung des Datenaustauschs), andere sind rechtlicher Natur (Datenschutz). Da keine gesetzliche Verpflichtung besteht, muss zudem ein geeignetes Geschäftsmodell gefunden werden, das den Besitzern von Elektrofahrzeugen Anreize bietet, die Batterien ihres Fahrzeugs zur Verfügung zu stellen, und das die Betreiber von Ladestationen motiviert, ihre Geräte für eine intelligente Steuerung einzurichten.

Beim flexiblen Laden (V1G) sollte die Bereitschaft, die Ladeleistung seines Fahrzeugs entsprechend den Netzsignalen anzupassen, im Vergleich zu einem standardmässigen Lagevorgang ohne Leistungsbeschränkung typischerweise mit einem niedrigeren Tarif oder einem bevorzugten Standort belohnt werden.

Bei lokaler Erzeugung wird der Strom, der innerhalb der Ladeinfrastruktur (Carport, Dach des Gebäudes, in dem sich der Parkplatz befindet) oder in einer Eigenverbrauchsgemeinschaft (EVG) erzeugt wird, billiger eingekauft als der aus dem Netz bezogene Strom. Denn weder die Beförderung (Netzentgelt) noch Steuern und Gebühren kommen zum Tragen. Dieser Vorteil beim Stromkauf durch den Betreiber der Ladestationen kann somit zu einer günstigeren Preisgestaltung für flexible Nutzer führen, die bereit sind, vorzugsweise dann zu laden, wenn der Strom lokal erzeugt wird. Dies erfordert jedoch Investitionen in eine Kommunikation zwischen der Messung der lokalen Produktion und der Ladestation.

Dennoch limitiert die aktuelle Gesetzgebung diese Eigenverbrauchsmöglichkeit auf unabhängige Mikronetze, die das Stromnetz nicht nutzen, was in den meisten Situationen zu einer Beschränkung auf ein Gebäude und seine Nebengebäude führt. So ist es mit den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht möglich, den Verbrauch von lokal erzeugtem Strom auf Quartierebene zu fördern. Dies könnte sich mit den aktuellen parlamentarischen Debatten über lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) bald ändern. Diese Gemeinschaften würden niedrigere Stromübertragungskosten für den Verbrauch von lokal erzeugtem Strom ermöglichen, indem sie die Nutzung (gegen Entgelt) des Niederspannungsnetzes erlauben.

Illustrativer Überblick über die verschiedenen Komponenten des Strompreises nach Quelle und für verschiedene Akteure. Die Amplitude der verschiedenen Komponenten (insbesondere der ersten drei Komponenten im Vergleich zum Energiepreis des Netzes) definiert die Wettbewerbsfähigkeit von V2G auf den verschiedenen Ebenen.

In Industriegebieten soll dieses Gesetz, über das derzeit diskutiert wird, die Installation dezentraler Quellen zur Erzeugung erneuerbarer Energien fördern. Daher kann es die Nutzung der Flexibilität, die durch das intelligente Aufladen von Elektrofahrzeugen geboten wird, begünstigen.

V2G ermöglicht, das enorme Potenzial von Elektrofahrzeugen für die kurzfristige Speicherung von Strom noch besser auszuschöpfen. Dieses Konzept ist derzeit noch auf wenige Fahrzeuge und einige Modelle von Ladestationen beschränkt. Dennoch ist es auf dem besten Weg, bei den Autoherstellern zum Standard zu werden. Auch dieser Mechanismus ist heute nur dann finanziell interessant, wenn er einem Stromanschluss (Gebäudeebene) oder gar der EVG nachgelagert ist. Es ist ein Zugang zu einer günstigen Produktion von lokalem erneuerbarem Strom erforderlich, und es braucht einen ausreichenden Stromverbrauch, der die Mehrkosten für eine bidirektionale Ladestation, die heute mehrere Tausend Franken betragen, amortisiert. Auf Ebene des Quartiers ist die Situation aufgrund der Kosten für die Netzdurchleitung (lokal nur bei zukünftigen LEG) und der Steuern, die zum Preis der aus dem Fahrzeug entladenen Energie hinzukommen, ungünstig. Daher ist es derzeit nicht möglich, ein relevantes Geschäftsmodell für die Nutzung von V2G zu entwickeln, um Angebot und Nachfrage im Quartier auszugleichen.

Bei den anderen Nutzungsmöglichkeiten beschränkt sich die Glättung von Leistungsspitzen ähnlich wie beim Eigenverbrauch auf den Bereich hinter der elektrischen Anschlussstelle. Die dritte Möglichkeit, die Systemdienstleistungen, ist dagegen flexibler. Denn solche Dienstleistungen sind unabhängig von der Anschlussstelle, und die Einnahmen stammen direkt vom Netzbetreiber. Dennoch gilt es, die Kosten, die Einnahmen und die Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure gerecht zu verteilen, um die Rendite der Investitionen zu maximieren. Im Rahmen des Projekts SunnYparc werden mehrere Modelle zur Nutzung des Flexibilitätspotenzials von Elektrofahrzeugen getestet.

Schlussfolgerungen

Intelligent gesteuerte Elektromobilität hat das Potenzial, eine effektive Flexibilitätslösung für den Übergang zu einer vollständig erneuerbaren Energieversorgung bereitzustellen. Gewerbegebiete spielen in diesem Zusammenhang aufgrund ihrer Kombination aus grossen Flächen, die sich für Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien eignen, und ihrer Konzentration an tagsüber geparkten Fahrzeugen eine herausragende Rolle.

Flexibles Laden, bei dem sich die Leistung an die lokale Energieverfügbarkeit anpasst, bietet eine erste Nutzungsoption, während V2G einen Schritt weitergeht und Dienste für das gesamte Netz anbietet. Heute entstehen Technologien, die die Nutzung dieser Flexibilität ermöglichen. Ladestationen bieten Flexibilitätsoptionen, Energiemanagementsysteme ermöglichen eine umfassende Steuerung eines Quartiers und Aggregatoren erlauben, die vielen kleinen Volumina dezentraler Flexibilität auf den Märkten zu nutzen. Betreiber von Ladestationsnetzen spielen hier eine wichtige Rolle, indem sie die Nutzer informieren und die Flexibilität, die diese zur Verfügung stellen wollen, angemessen belohnen. Die vielen Herausforderungen in Bezug auf Technik, Gesetzgebung und Geschäftsmodelle machen diese Entwicklungen äusserst spannend.

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