Erfahrungsaustausch am «Klassentreffen»

15.09.2023
Die Energiebranche kann sich im Augenblick nicht über zu wenig Herausforderungen beklagen. Umso wichtiger sind Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch und zur Präsentation von vielversprechenden Lösungsansätzen. Die Betriebsleitertagung 2023 bot dazu die ideale Bühne.

Rund 200 Führungskräfte und Betriebsleiter aus Schweizer Energieversorgungsunternehmen folgten am 14./15. September 2023 dem Aufruf des VSE zur Betriebsleitertagung. Im Seehotel Waldstätterhof in Brunnen bot sich ihnen die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch und Netzwerken. In zahlreichen spannenden Referaten lernten sie ausserdem die neusten Entwicklungen und Lösungsansätze zu relevanten Themen kennen, beispielsweise dazu, wie sich die Transformation des Energiesystem auf Energieversorgungsunternehmen auswirkt, oder dass der Fachkräftemangel im Begriff ist, sich zu einem generellen Arbeitskräftemangel zu entwickeln.

Verbandsdirektor Michael Frank hiess die Anwesenden zum alljährlichen «Klassentreffen» willkommen und gab einen Überblick über die aktuell dominierenden Themen, wie beispielsweise die teils polemisch geführte Diskussion um die Stromtarife: «Wir können uns dem Markt nicht entziehen, und rund 80 Prozent der EVU in der Schweiz müssen ihren Strom nun mal am Markt einkaufen.» Ein ebenfalls hochaktuelles Thema war der Mantelerlass, der parallel zur Betriebsleitertagung im Parlament behandelt wurde. Ausserdem zeigte Michael Frank auf, was sich im Bereich OSTRAL tut. Die Kommission hat seit Anfang August nicht nur einen neuen Sekretär (Michael Holenweger), sondern arbeitet intensiv an den Vorbereitungsmassnahmen für den kommenden Winter.

Vollständige Marktöffnung oder kein Stromabkommen

Besondere Aufmerksamkeit schenkte der VSE-Direktor aber dem Thema Stromabkommen mit der EU. Ein solches werde es nicht ohne eine komplette Marktöffnung geben. «Die Branche wird sich also fragen müssen, welches das kleinere Übel ist: die bestehende Teilliberalisierung und kein Stromabkommen oder ein Stromabkommen, aber dafür einen liberalisierten Markt.» Nach den National- und Ständeratswahlen vom 22. Oktober 2023 werde der Bundesrat ein entsprechendes Handlungsmandat erlassen. «Und spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die Branche sagen müssen, wie sie dazu steht.»

Anschliessend berichtete Matthias Gisler, Chefökonom des BFE, aus ebendiesem Bundesamt für Energie. Naturgemäss stand auch beim Bundesvertreter der Mantelerlass im Zentrum der Berichterstattung: «Das Ziel ist, dass der Mantelerlass bis Ende dieser Session am 29. September 2023 verabschiedet wird, und die Zeichen dafür stehen gut.» Das BFE bereite aktuell die entsprechenden Verordnungen vor, sodass das Gesetz per 1. Januar 2025 in Kraft treten könne. Gefreut haben dürfte die Anwesenden, dass Matthias Gisler dem Netz im Zuge des Umbaus des Energiesystems besondere Bedeutung zumisst: «Um die Energie- und Klimaziele zu erreichen, sind Ausbau und Digitalisierung des Netzes unabdingbar.»

Wasserstoff, Unternehmertum und Demografie

Nachdem Guy Bühler, Head Hydrogen & GPP bei der Axpo Solutions AG, einen Abriss über Möglichkeiten und Hemmnisse in Bezug auf Wasserstoff gegeben hatte, demonstrierte Werner Jauch dann Unternehmergeist in Reinkultur: Der Vorsitzende der Geschäftsleitung von EWA energieUri zeigte den Anwesenden an seinem eigenen Unternehmen auf, dass EVU dem Wandel im Energiesystem nicht einfach ausgeliefert sind. Dafür müssten sie allerdings ihre Geschäftsmodelle aktiv anpassen und Opportunitäten erkennen und nutzen. «Wir müssen vom Energieversorger zum Energiedienstleister werden.»

Manuel Buchmann, Projektleiter bei Demografik, hielt das wohl «furcherregendste» Referat an der Betriebsleitertagung: Aufgrund demografischer Daten machte er den Anwesenden klar, dass der Fachkräftemangel nicht einfach verschwinden wird. Er wird sich vielmehr zu einem generellen Arbeitskräftemangel entwickeln, weil in den kommenden 10 bis 15 Jahren viel mehr Menschen (rund 40 Prozent der heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) den Arbeitsmarkt verlassen als nachrücken (rund 4 Prozent). Alleine in der Energiebranche werden in den nächsten zehn Jahren rund 7000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Pension gehen. Das entspricht einem guten Drittel der ganzen Branche.

Risiken und Chancen

Die Entwicklung der Risiken der Branche war das Thema von Eric Montagne von der i-Risk GmbH. In einer jährlichen Umfrage befragt das Unternehmen Energieversorger zur Einschätzung ihrer eigenen Risiken. Das Toprisiko bleibt wie in den beiden Jahren zuvor die IT- und Cyber-Sicherheit. Auf Platz zwei verbleibt – nach Manuel Buchmanns Ausführungen nicht überraschend – die Suche nach und der Erhalt von Fachkräften. Ebenfalls in den top Fünf figurieren Fragen zur Energiebeschaffung, zur Infrastruktur sowie zur Versorgungssicherheit. Neu wird auch die Energiewende als Risiko beurteilt. Neben den hohen Investitionen in Anlagen für erneuerbare Energie ist hier die Sorge um den Verlust von Geschäftsfeldern und Marktanteilen ausschlaggebend.

Der Kreis schliesst sich

Den Abschluss der Tagung machte schliesslich Jürg Rauchenstein von der ElCom. Neben einem Ausblick auf den kommenden Winter – es sehe insgesamt besser aus als vor einem Jahr – schloss er den von Michael Frank am Beginn der BLT geöffneten Bogen und zeigte den Anwesenden auf, wie sich die Stromtarife entwickelt haben. Der ElCom-Vertreter brauchte neben vielen Zahlen aber auch einige Tipps mit, wie Netzbetreiber extreme Tarifsprünge etwas abfedern könnten. Neben dem Verzicht auf Gewinne könne dies beispielsweise auch durch die Bildung von Unterdeckungen erreicht werden.