Heimfall: Chancen und Risiken

In den kommenden Jahren laufen viele Konzessionen für Wasserkraftwerke aus. Werden diese nicht erneuert, gehen die Anlagen in den Besitz der Standortkantone und -gemeinden über. Das bietet Chancen, beinhaltet aber auch Risiken.
04.02.2022
Der Mattmarksee (VS). (Bild: fernando_66/pixabay)

Energieproduktion ist ein Geschäft, in dem langfristig gedacht wird. Und «langfristig» heisst in diesem Fall effektiv über mehrere Generationen. Die Energieinfrastruktur der Schweiz ist zu einem grossen Teil mehrere Jahrzehnte alt. Sie wurde vor langer Zeit geplant und gebaut, und sie funktioniert nach wie vor zuverlässig und weitgehend störungsfrei. Als das Erbe des Pioniergeists und der Weitsicht der damaligen Generation wirkt sie sich bis heute auf das Leben und Arbeiten in der Schweiz aus. Sichtbar wird dieses Erbe unter anderem an Wasserkraftwerken in den Alpen, aber auch im Unterland. Primär nehmen Berg- respektive Fussgänger wahrscheinlich die auffälligen Talsperren oder Wehre wahr. Darüber hinaus verfügen diese Anlagen aber auch über ein komplexes Innenleben. Beim Bau dieser Werke wurde der Langfristigkeit grosses Gewicht beigemessen, sollten sie doch über Jahrzehnte hinweg für eine sichere, einheimische Stromversorgung sorgen.

Langfristig angelegt sind auch die Konzessionen, welche Kantone oder Gemeinden ausstellen, damit Energieproduzenten das Wasser zur Stromproduktion nutzen dürfen. Solche Konzessionen werden in der Regel auf 40 bis 80 Jahre erteilt. Diese langen Fristen sind durchaus sinnvoll, ermöglichen sie Kraftwerksbetreibern doch, getätigte Investitionen während einer zugesicherten Betriebsdauer zu amortisieren. Die Standortkantone und -gemeinden profitieren ihrerseits von üppigen Wasserzinsen, welche ihnen die Betreiberunternehmen als Entschädigung für die Wassernutzung überweisen, sowie meist auch von weiteren in den Konzessionsverträgen vereinbarten Leistungen. Die Erbauung von Wasserkraftanlagen zur Stromproduktion begann Ende des 19. Jahrhunderts und erlebte nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre einen regelrechten Boom. Das bedeutet, dass viele dieser ursprünglich erteilten Konzessionen in absehbarer Zeit auslaufen und erneuert werden müssten. Rund 30 TWh Jahresproduktion müssten in den nächsten rund 20 Jahren in der Schweiz neukonzessioniert werden.

Die Kantone Graubünden und Wallis möchten Wasserkraftanlagen auf ihrem Hoheitsgebiet (im Bild Emosson/VS) nach Konzessionsende in ihren Besitz übergehen lassen.

Neukonzession oder Heimfall

Damit eine neue Konzession zustande kommt, müssen sich Kraftwerkbetreiber (Konzessionär) und Standortkanton respektive -gemeinde (Konzedent) auf einen neuen Vertrag einigen. Der Konzedent ist dabei frei, eine erneuerte Konzession dem bisherigen Konzessionär oder einem Mitbewerber zu erteilen. Hat der Konzedent kein Interesse daran, die Konzession zu erneuern, übt er den – bundesgesetzlich geregelten – Heimfall aus: Die Kraftwerkanlagen gehen nach Ablauf der Konzession vom Konzessionär an den Konzedenten über. Die hydraulischen oder «nassen» Teile der Anlage, beispielsweise Staumauer, Turbinen oder Druckrohre, erhält er gratis. Für die elektromechanischen oder «trockenen» Teile, beispielsweise Generatoren, Transformatoren oder Leitsysteme, wird eine kleine Entschädigung fällig. Die Wertbemessung der trockenen Teile erfolgt nicht nach einem fixen Satz, sondern wird in der jeweiligen Konzession festgelegt.

Sind sowohl Konzessionär als auch das verleihende Gemeinwesen an einer Neukonzessionierung interessiert, wird der Heimfall nicht ausgeübt. Allerdings wird in diesem Fall eine «Heimfall-Verzichtsentschädigung» fällig, welche der Konzessionär in der Regel zu Beginn der neuen Konzession zu bezahlen hat. Diese Entschädigung ist durchaus gerechtfertigt, kann doch der Konzessionär so auch in Zukunft das Wasser des Standortkantons respektive der Standortgemeinde gewinnbringend nutzen. Allenfalls – vor allem bei Partnerwerken, bei denen der Konzedent als Aktionär am Unternehmen beteiligt ist – stehen auch eine Beteiligungsquote des Konzedenten oder ein Energiebezug zu Vorzugspreisen zur Diskussion. Solche Diskussionen werden heute jedoch härter geführt als ehedem, sind die Zukunftsaussichten doch sehr ungewiss. So fehlen nicht nur nach wie vor Rahmenbedingungen, welche Energieproduzenten die nötige Sicherheit gäben, um in der Schweiz zu investieren, sondern auch das Marktumfeld ist deutlich unberechenbarer geworden, und dies jüngsten Rekordpreisen für Strom zum Trotz. Entsprechend sehen die Produzenten sich aktuell denn auch ausser Stande, bereits zu Beginn einer neuen Konzession substanzielle Einmalzahlungen vorzunehmen.

Dass sich Unternehmen nicht auf ein Vabanque-Spiel einlassen wollen und können, ist nachvollziehbar. Genauso nachvollziehbar ist auf der anderen Seite auch, dass Standortkantone oder -gemeinden nicht auf eine angemessene Entschädigung für ihr «blaues Gold» verzichten wollen. Es stellt sich also die Frage, welche Optionen den Beteiligten in dieser Situation bleiben.

Die Kantone wollen die Anlagen (im Bild Albigna/GR) durch eigene Gesellschaften, an denen sie die Mehrheit halten, betreiben lassen.

Substanzielle Einmalzahlungen sind passé

Ist man sich grundsätzlich einig über die Erneuerung der Konzession, wäre eine Heimfallverzichts-Entschädigung, welche sich am Markt orientiert und regelmässig entrichtet wird, eine Alternative zu einer Einmalzahlung zu Konzessionsbeginn. Ein solches Modell berücksichtigt die aktuellen Marktpreise für Strom und die Produktionskosten. Die Konzedenten werden dabei vom Kraftwerkbetreiber jährlich je nach Marktsituation entschädigt. Für die Standortkantone und -gemeinden ist dieses Modell sicherlich kein schlechtes, könnten sie doch – über die ganze Konzessionsdauer betrachtet – sogar eine höhere Heimfallverzichts-Entschädigung erhalten als bei einer Einmalzahlung. Ehrlicherweise muss aber festgehalten werden, dass bei anhaltend tiefen Marktpreisen die Entschädigung während mehrerer Jahre auch entsprechend kleiner ausfallen kann. Nichtsdestotrotz hat dieses Modell für Kantone und Gemeinden mehr Vor- als Nachteile: Ein Wasserkraftwerk zu betreiben, ist eine hochkomplexe Angelegenheit, welche viel über Jahre aufgebautes Know-how erfordert. Dabei geht es nicht nur um den reinen Betrieb, sondern weit darüber hinaus: Unterhalt, Risikomanagement oder auch der Vertrieb stellen ganz spezifische Anforderungen an einen Betreiber. Das sind Anforderungen, welche die Konzessionäre erfüllen, weil sie sie im Laufe der Jahre quasi «natürlich» erworben und weiterentwickelt haben. Und das sind Anforderungen, welche ein Gemeinwesen nicht einfach so mir nichts dir nichts aufbauen kann.

Denn auch der Heimfall ist selbstverständlich eine Option, welche am Ende der Konzession besteht. Standortkantone und -gemeinden können die Wasserkraftanlagen in ihren Besitz übergehen lassen, und das zu eher günstigen Konditionen. Und warum sollten Kantone oder Gemeinden an den Anlagen, welche auf ihrem Hoheitsgebiet stehen und in denen Energieproduzenten ihr Wasser zu Geld machen, nicht selbst teilhaben? Würden solche Anlagen selbst genutzt, würde nicht nur Vermögen geäufnet, sondern auch die Gewinne (und die darauf zu entrichtenden Steuern) blieben dort, wo sie ursprünglich generiert werden: in dem Kanton, in dem das Wasserkraftwerk betrieben wird.

«Wasserkraftgrossmächte» Graubünden und Wallis wollen Anlagen «heimholen»

Die Kantone Graubünden und Wallis, zwei veritable «Wasserkraftgrossmächte», wollen daher die Kraftwerke auf ihrem Hoheitsgebiet – und die entsprechende Wertschöpfung – «nach Hause holen». In den nächsten 15 bis 20 Jahren auslaufende Konzessionen für Wasserkraftanlagen sollen nicht erneuert werden. Vielmehr soll der Heimfall ausgeübt werden, und die Anlagen sollen in den Besitz von Kanton und Gemeinden übergehen. Die Kantone wollen selbst aber nicht zu Kraftwerksbetreibern werden, sondern diese Aufgaben in Betriebsgesellschaften, an denen sie mindestens zur Hälfte+1 beteiligt sind, auslagern. Im Kanton Wallis existiert mit den Forces Motrices Valaisannes (FMV) bereits eine solche Gesellschaft, während sie in Graubünden noch gegründet werden müsste. Auch EWZ, unter anderem Betreiberin der Albigna-Anlage, hat unmittelbar nach der Präsentation der Heimfall-Absichten der Regierung schon Interesse daran bekundet, die Kraftwerke in Zukunft im Auftrag des Kantons betreiben zu wollen.

Zervreila
Das Ziel der Kantone: Sie wollen die Wertschöpfung aus der Wasserenergie (im Bild Zervreila/GR) «nach Hause» holen. (Bild: tuor/pixabay)

Die Gefahr ist jedoch gross, dass sich die Verantwortlichen in Kantonen und Gemeinden durch all die glänzenden Gewinn- und Vermögensaussichten ein wenig blenden lassen. Auch wenn die Wasserkraft und deren Vermarktung grosse Erträge versprechen, darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass mit der Übernahme eines Kraftwerks auch viele Risiken verbunden sind. Natürlich wird nicht jedes Jahr ein Neubau einer Staumauer, wie beispielsweise aktuell am Grimsel, nötig. Bei Staumauern, welche zwischen 1930 und 1970 gebaut wurden, gehen Experten jedoch von einer Lebensdauer von 50 bis 100 Jahren aus. Bei etlichen dieser Bauwerke dürften also kurz- bis mittelfristig hohe Investitionen für Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten anstehen; im schlimmsten Fall gar für Neubauten. Solche Investitionen können noch so satte Gewinne schnell einmal auffressen. Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen, um grosse Investitionen in die Wasserkraft vorzunehmen, auch für das Gemeinwesen nicht reizvoller sind als für Energieversorgungsunternehmen. Nicht vergessen werden darf schliesslich auch, dass bei der Selbstnutzung des Wassers keine Wasserzinsen mehr aus dem Unterland in die Bergkantone und -gemeinden fliessen werden. Das entspricht Mindereinnahmen von rund 550 Mio. Schweizer Franken pro Jahr.

«Goldene Zeiten» kehren kaum wieder

Mögen die Wasserkraft und die Gewinne daraus in der Vergangenheit noch so gross gewesen sein, diese «goldenen Zeiten» werden schwerlich in absehbarer Zeit wiederkehren. Zu unstet und volatil verhalten sich die europäischen Strommärkte, von denen auch die Preise für Schweizer Wasserkraft abhängen. Der Umbau des Energiesystems, der voll auf erneuerbare Energien setzt, der aber nicht nur in der Schweiz nicht im gewünschten respektive nötigen Tempo vorankommt, sorgt für Verunsicherung und Zurückhaltung. Ereignisse wie eine Finanzkrise, welche 2008 auch die Strompreise ins beinahe Bodenlose heruntergerissen hatte, sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen respektive leider sogar wahrscheinlich.

Mit all den unbestreitbar bestehenden Chancen werden beim Heimfall eines Wasserkraftwerks also immer auch Risiken übernommen. Das müssen Kantone und Gemeinden bedenken, wenn sie in Zukunft noch stärker von der Wasserkraft profitieren möchten. Eine Garantie auf Erfolg besteht – wie bei jedem wirtschaftlichen Handeln – auch hier nicht.