Studie sieht Potenzial für alpinen Solarstrom

Die Stiftung Alpines Energieforschungscenter AlpEnForCe und das Institut «Kulturen der Alpen» haben eine breit angelegte Studie in Auftrag gegeben. Im Zentrum stand die Frage, ob die Schweiz dank Strom aus den Alpen, die so genannte «Winterlücke» schliessen kann – ohne auf Erdgaskraftwerke zu-rückgreifen zu müssen. Die Antwort fällt klar aus.
31.03.2022

Das ist eine Medienmitteilung der Alpenforce – die darin publizierten Inhalte geben nicht notwendigerweise die Meinung des VSE wieder.

 

In Zusammenarbeit mit der Stiftung Alpines Energieforschungscenter AlpEnForCe (Disentis/Mustér) hat das Urner Institut «Kulturen der Alpen» an der Universität – unter der Leitung von Dr. Ivo Schillig und Prof. Dr. Boris Previšić – eine breit angelegte interdisziplinäre Studie in Auftrag gegeben. Sie trägt den Titel «Alpenstrom jetzt!». Eingeladen waren drei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin, ihre Expertise aufgrund ihrer eigenen Forschungserfahrung und ihres eigenen Forschungswissens einzubringen. Sie gingen der Frage nach, ob die Schweiz dank Alpenstrom die so genannte Winterlücke schliessen könnte, ohne auf Erdgas angewiesen zu sein.

Das Forschungsteam setzt sich aus drei Energiespezialisten und einer Energiespezialistin zusammen. Diese berechneten für die Schweiz verschiedene Szenarien der Stromproduktion, der Stromübertragung und des Stromkonsums in Abhängigkeit vom umliegenden Ausland (Dr. Marius Schwarz, ETH Zürich). Sie beurteilten weiter die rechtliche Situation und die Möglichkeiten (Dr. Markus Schreiber, Universität Luzern), eruierten die geeigneten politischen Instrumente im internationalen Vergleich (Dr. Léonore Hälg, ehemals ETH und ZHAW) und brachten schliesslich die ökonomisch sinnvollsten Lösungsansätze in Anschlag (Dr. Florian Egli, ETH Zürich). So sehr die Situation der Versorgungssicherheit gegenwärtig problematisiert wird, so deutlich arbeitet die Studie von AlpEnForCe und dem Institut «Kulturen der Alpen» heraus, dass sich die Politik dank Alpenstrom einen neuen Handlungsspielraum eröffnet und sich von einer fossilen Pfadabhängigkeit, vor allem von Erdgas, lösen kann.

«Wasserkraft hat den Plafond erreicht»

So halten die beiden Herausgeber der Studie, Ivo Schillig und Boris Previšić, gleich zu Beginn der Publikation fest, dass die Schweiz die Dekarbonisierung sämtlicher Lebensbereiche entschieden anzugehen hat. Dekarbonisierung in der Schweiz bedeute in erster Linie Elektrifizierung von Mobilität, Gebäuden und Industrie mit erneuerbaren Energieträgern. So sei kurz- und mittelfristig Solar- und Windstrom ökonomisch und ökologisch am sinnvollsten. «Die Wasserkraft hat den Plafond erreicht, spielt aber im Alpenraum weiterhin eine wichtige Rolle», bekräftigen die Herausgeber.

Im mittelfristigen Szenario für die Periode zwischen 2030 und 2040, wenn die Atomkraftwerke vom Netz gehen, könne der zusätzliche Bedarf an Energie mit Photovoltaik und Wind gedeckt werden. Dabei haben Mittelland und Alpen je eine eigene Verantwortung für die ganze Schweiz: «Den grössten Anteil werden Photovoltaikanlagen im Mittelland übernehmen.»

Entscheidend als saisonales Gegengewicht seien aber alpine Photovoltaikanlagen. Dabei halten sie fest: «Da die Siedlungsdichte im hochalpinen Raum minimal ist, sind – neben Photovoltaik an Fassaden, Lawinenverbauungen und weiteren Infrastrukturen – Freiflächenanlagen notwendig.» Kombiniert mit Wasser und Wind, eröffnen sie für die Berggebiete interessante Perspektiven.

Politik kann Ausbau der Winterstromproduktion forcieren

Der Energierechtspezialist Markus Schreiber zeigt, ausgehend von der gegenwärtigen Energiegesetzrevision, erste Perspektiven auf. So bestehe bereits nach geltendem Recht für Kantone und Gemeinden «die Möglichkeit, Photovoltaikanlagen in ihre Richtrespektive Nutzungspläne aufzunehmen». Er empfiehlt angesichts der von Freiflächenanlagen ausgehenden Auswirkungen auf Raum und Umwelt eine rechtliche «Festsetzung bereits auf Richtplanebene». Damit könne man «grössere Photovoltaikanlagen an bestehenden Bauten wie Lawinenverbauungen» im Richtplan berücksichtigen.

Daraus ergibt sich ein klarer politischer Handlungsbedarf, wie die Spezialistin für Energiepolitik Léonore Hälg in der Studie festhält. Es sei nötig, dass sich das Parlament für einen zusätzlichen Ausbau der erneuerbaren Winterstromproduktion und die entsprechende Finanzierung ausspreche: «Ob die dafür nötigen Mittel aus einer Erhöhung des bereits heute existierenden Netzzuschlags oder aus einem besonderen Winterzuschlag stammen, ist dabei irrelevant.» In jedem Fall brauche es zusätzliche Einnahmen, «um die erneuerbare Winterstromproduktion erheblich auszubauen und so die Versorgungsqualität in der Schweiz zu gewährleisten». Nutzniesser seien in erster Linie Kantone und Gemeinden in den Berggebieten.

Alpen-Solarstrom garantiert Versorgungssicherheit dank gleitender Marktprämie

Dies kann Marius Schwarz aus der Perspektive seiner breit abgestützten Modellierungen bestätigen: «In unseren Szenarien ist alpiner Solarstrom in der Schweiz für die Versorgungssicherheit mittelfristig besser geeignet als Gas-to-Power-Kapazitäten.» Interessanterweise kann gerade alpiner Winterstrom die Stromimporte bei gleichen Gesamtsystemkosten stärker reduzieren. Der Trumpf liegt wiederum bei den Alpen, denn eine Import-Reduktion würden insbesondere Pumpspeicherkraftwerke ermöglichen, «welche durch Alpenstrom auch im Winter regelmässig Reservoirs auffüllen und den Strom anschliessend in kritischen Stunden mit geringen Importmöglichkeiten bereitstellen».

Doch welcher Weg zu dieser Lösung ist ökonomisch am sinnvollsten? Der Energieökonom Florian Egli schreibt in der Studie, dass Investitionsbeiträge – worauf sich die heutige Schweizer Förderung von erneuerbaren Energieträgern konzentriert – für interessierte Investoren wenig Sinn ergäben, «denn sie reduzieren das Risiko nicht». Weil Kapital ausreichend vorhanden sei, bringe eine Senkung des Investitionsbedarfs im kommerziellen Bereich wenig. Effektiver sei es vielmehr, mit einer auktionierten Einspeisevergütung, einer so genannten gleitenden Marktprämie, das Risiko der unsicheren zukünftigen Erträge zu eliminieren. So garantiert die gleitende Marktprämie dem Energieproduzenten einen minimalen Preis pro Kilowattstunde und ermöglicht eine langfristige finanzielle Sicherheit.

Alpine Photovoltaikanlagen für eine «weitsichtige Politik»

Die Szenarien ohne alpine Photovoltaikanlagen, die Marius Schwarz im Rahmen der vorliegenden Studie durchrechnet, zeigen auf, «dass ein fehlendes Rahmenabkommen mit der EU und eine dadurch resultierende Reduktion der Nettoübertragungskapazität um 70 Prozent die Winterimporte stark reduziert und die Nachfrage nicht mehr in jeder Stunde gedeckt werden kann». So kommen die beiden Herausgeber Ivo Schillig und Boris Previšić zum Schluss: «Solaranlagen im Alpenraum leisten einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, zur Versorgungs- und Investitionssicherheit und öffnen den notwendigen Handlungsspielraum für eine weitsichtige Politik.». (alpenforce)